Simone Berger
«Ich erarbeite mir einen eigenen Boden, auf dem ich existieren kann.»
« Von Zeit merke ich erst etwas, wenn am Sonntag die Läden geschlossen sind.»
Von den Rändern zur Mitte. Die Ebenen, die sich durchdringen,
geben einander auch Halt und stützen sich gegenseitig. Erst viele
verschiedene Ebenen - das sind Sichtweisen, Seh-Wege -,
aufeinandergelegt und zur Deckung gebracht, ergeben die
künstlerische Realität. Die künstlerische?
Simone Berger selbst ist von ihren Arbeiten nicht zu trennen.
Sie malt, wie sie lebt. Dutzende von Einzelteilen und einzelnen
Momenten fügen sich noch lange nicht zu einem Ganzen; ein Spiel
von Zeit- und Raumfragmenten, durcheinandergeschüttelt und
in ständiger Bewegung, verharrt ab und an für eine Weile -
und ergibt ein Bild. Das einzige Gesetz ist die Ordnung der Künstlerin:
der Farbablauf, mühsam jeweils errungen und sogleich wieder in Frage
und Zweifel gestellt.Bereits die selbstverständliche Handwerksarbeit
hat einstimmende Bedeutung. Präparieren und Aufspannen der Leinwand
etwa enthalten meditative Qualität, gehören zur Spurensuche,
zum intuitiven Entdecken der Strukturen; der sinnliche Vorgang,
der Umgang mit dem Material lockt das im Inneren gespürte Bild in
die Realisation. Mir scheinen die Arbeiten, die ich in Liestal
entstehen sehe, eine konsequente Weiterentwicklung der gemalten
und gestalteten «Tagebücher» und «Nachtbücher», die Serien gewesen
sind mit einer eigenen Terminologie, ähnlich einem runenhaften,
vergessenen Alphabet, zu deren Entzifferung und «Gebrauch» neben
dem ästhetischen Empfinden auch Zärtlichkeit und Feinsinn gehören.
Mit der Videokamera hält Simone Berger Alltäglichkeiten des
gemeinsamen Lebens und Arbeitens im Haus an der Seestrasse fest.
«Die Kamera ist wie ein Bleistift oder Pinsel», sagt sie, aber das ist
erst der Beginn, das «lebendige» Bild des Videofilms wird angehalten
und weiterverarbeitet: Per Computer erfolgt die gewünschte Rasterung,
und im Siebdruckverfahren werden nun die verschiedenen Einzelmomente
- dieses so arge fragmentierte Lebensgefühl! -
miteinander vermengt, das heisst übereinanqer-, zueinandergedruckt.
Der entfremdete Arbeitsweg liefert natürlich Uberraschungen. Diese
wiederum entsprechen der permanenten Verblüffung, in unserer Welt
der Tatsächlichkeiten «wirklich» zu existieren. Video, das ist ein
«unangenehmes» Medium, ein entseeltes,
ziemlich oberflächliches. Simone Bergers Idee der Unsicherheit und
fragwürdigen Identität und das Gefühl der Illusion führen fast
zwangsläufig zur Benützung technischen Geräts (worauf könnten wir
uns besser verlassen?), gerade um Innerlichkeit herzustellen,
auszudrücken und zu finden. Für mich liegt diesen Siebdrucken eine
Angst vor Verlust an Persönlichkeit zugrunde, die recht scharf einen
Zeitnerv trifft. Die Gesichter sind alles andere als Portraits.
Diese Gesichter haben sich selbst verloren und fragen: Wer sind wir?
Sind wir das, was wir zu sein scheinen? Im Guten wie im Schlechten
sind es entstellte Gesichter, die eben nicht sind, was sie sind.
von Tadeus Pfeifer