Der Krieg der Bilder
Das "Zeitalter der Medien" hat in der Kunstszene zu Phänomenen der
Spaltung geführt. Die Vertreter der traditionellen Ausdrucksformen
fürchten häufig, elektronisch überrannt zu werden, und die neuen Medien
beklagen, dass sie nicht die gehörige Resonanz fänden. Für die Vernünftigen
beider Lager ist das jedoch kein Problem. Die medialen Montagen von
Simone Berger sind ausserordentlich relevant, denn ihre kritischen Image-
verbrüderungen arbeiten mit den verschiedenen Ebenen der Bildbegriffe.
Texturen der Leinwand stehen zu Raster des Siebdrucks, derweil video-
grafisches Netzwerk und digitale AUflösung mit konventionellem Pinselstrich
ein gemeinsames Verwobensein demonstrieren. Schon diese Medialmontagen
sind Seh-und Denkabenteuer genug. Der Künstlerin multimedialer Bildersturm
will als Gesamtes aber den Prozess von dem fassen, was heute im Krieg der .
Bilder des Medienzeitalters geschieht.
Sigmar Gassert
Basler Zeitung 10.5.91
von Siegmar Gassert ist Kunstkritiker und Verleger in Basel.
Simone Berger
Der Kampf der bilder - Der Kampf um die Bilder
Bilder sind überall. Am Morgen öffnet man die Augen, sieht den Raum,
in dem man schlief als ein Ensemble von Bildern, wirft einen Blick durch
das Fenster nach aussen, sieht die Bildausschnitte des Draussen, will
wahrnehmen, wie der Tag wird, ob es helle oder dunkle, komplexe oder
monotone Bilder geben wird. Man will sich ein Bild vom Tage machen.
Im Badezimmer dann das alltägliche Selbstportrait, hergestellt durch
die gradlinige Optik des Spiegels. Bilder auch schon vor dem geistigen
Auge, Erwartungen, wie es sein mag, wie es sein wird. Selbst- und
Fremdbilder im Austausch. Der Schritt aus dem Hause wird zum
Eintreten in die Bilderfronten des Oeffentlichen. Signale, Logos,
Schriftbilder der Werbung - alles, wenn im Städtischen, im multimedialen
Set moderner Urbanität. Diese visuelle Vielfalt tritt einem als ein
komplexes System entgegen, das man, hier bewusst, da unterschwellig,
als eine Bilderflut wahrnimmt - der inneren Wahrnehmung des
Bewusstseinsstroms nicht unähnlich. Je ausdifferenzierter die Umwelt
ist, desto polyvalenter arbeitet das Sehen der Bilder als Wahrnehmung
von Visuellem, das für etwas wie für sich steht. Prinzipiell gibt es keinen
Unterschied mehr zwischen Ländlichem und Städtischem, zumal heut-
zutage Land der Vorort von Stadt oder die Verbindung zwischen Städten
bedeutet. Schon McLuhan hat vor Jahrzehnten vom "globalen Dorf"
gesprochen und diese Vernetzung prophezeit, der auch die
Vertechnologisierung des Lebens entspricht. Das bedeutet, dass von
der höheren Struktur aus gesichtet, gewichtet und gewertet wird.
Unaufhaltsam scheint die Urbanisierung des Planetens Erde.
Bilder hat es immer gegeben. Die Bilder der Natur als Lesart
menschlicher Wahrnehmung. Die Bilder der Kunst in den je spezif-
ischen Medien. Von der Höhlenzeichnung bis zur Computerzeichnung
ist der Kampf der Bilder ein Kampf um die Bilder, die am gültigsten,
sprich am lebensfähigsten sind. Früher waren Bild und Kult eine Einheit.
Wenige Bilder haben viel oder alles zu sagen.Der Bilderwechsel als
Austausch der Inhalte transportierte die Weltbilder im zähen Ringen
um Erkenntnis. Heute ist die Situation anders, der Bilderstreit ist zum
Kampf der Bilderstrategien geworden. Das Tafelbild im Museum ist
wichtig wie die elektronischen Bilder vom Fernsehen. Die digitale
Bilderproduktion vom Computer steht zurecht neben der Kinder-
zeichnung im Schulzimmer. All das gilt auch umgekehrt. Es gibt keine
eine oder reine Bildwahrheit mehr. Im Bilderstrom kann das Individuum
nur noch Charakter zeigen. Und die Erfahrungen, nicht nur im visuellen
Bereich, gehen dahin, dass das Materielle mit dem Immateriellen
oszolliert und gar als osmotischer Prozess gesehen und gelesen
werden muss. Dinglichkeit und Undinglichkeit vermitteln sich gegenseitig.
Bei dieser Transformation der Wahrnehmung zeichnet sich ein neues
Weitbewussstsein ab, eines, das fraglos durch die Implosion des
Multimedialen provoziert und produziert wird. Kurzum:
Die neue multimediale Welt zeigt ihre Zähne.
Nach solcherlei Ueberlegungen zur Möglichkeit von Theorie heute,
wo die Theorie des Bildes nur eine Theorie der Bilder sein kann, wollen
wir ganz im Sinne einer Phänomenologie "Zu den Sachen selbst!"
kommen.Simone Berger hat ihren, diesen hier in Rede stehenden
Bildermontagen den Titel "Private Urbanity" gegeben. Das hört sich
für einen kurzen Augenblick widersprüchlich an, denn wie kann das
Urbane privat und wie soll das Private urban sein? Aber dann,
natürlich angesichts ihrer Arbeiten, schlägt die Titelfalle zu - wie in
einem AhaErlebnis.
Einerseits betrachtet sich der Wahrnehmende
und Agierende im urbanen Umfeld als Individuum bestimmter
Bedürfnisse und Interessen seiner Eigenart, die sich am intimsten
in der Privatheit artikulieren lassen, andererseits ist er auf das
Urbane zur Produktion und Reproduktion des Privaten auf Materielles
wie Immaterielles angewiesen. Diese Interaktion gilt auch und
ziemlich im gleichen Masse für die Umkehrung. Das Urbane bezieht
seine Impulse und Konstellationen schlussendlich immer von
Individuen, die aber, solange kein Starkult getrieben wird, hinter dem
Stattfinden von Urbanität kaum sichtbar werden.
Solche oder ähnliche Beobachtungen und Ueberlegungen muss
Simone Berger angestellt haben, um daraus für ihre und die Kunst die
Konsequenzen ziehen zu können. Sie konfrontiert uns also folgerichtig
mit Medialmontagen unterschiedlicher Blldlichkeit, die aber in der
Collage die reale Interaktion von Individuum und Urbanem ausdrük-
ken. Mehr noch, wo das Individuum heute steht und wohin das Urbane
im Zeitalter der neuen Medientechnologien treibt.
Da im Grunde die Kunst selber besser und präziser reden kann als
die kunsttheoretische Analyse, wollen wir nur Hinweise geben, die es
leichter machen, die Komplexität dieser Medialmontagen rascher zu
erfassen. Denn eine gewisse Wahrnehmungsarbeit ist in der Tat vom
Betrachter zu leisten, will er die Komplexität von Welt heute und deren
adäquaten Kunst verstehen und daraus für sich Konsequenzen ziehen.
Allein schon aufschlussreich ist das Produktionsverfahren dieser
Medialcollagen. Als Ausgangsmaterial dienen 8mm-Filmaufnahmen,
mit der Videokamera eingefangene Bildsequenzen und Polaroid-
fotografien, diese Augenblicks- und Sofortbilder. Das sind beispielhaft
unterschiedliche Bildertypen der gegenwärtigen Imageproduktion.
Thematisch wird auf diese Weise Information über das alltägliche
Leben vom Austausch von Individuum und Urbanität gesammelt
und gesichtet.
Der nächste Produktionsschritt unterzieht diesem Material den uns
denkbar aktuellsten Transfer. Ueber Computer samt Bildbearbeitungs-
programm und Scanner transformiert Simone Berger diese Fragmente
der Gegenwart zu vom Printer schwarzweiss ausgedruckten Bild-
vorlagen. Nun beginnt die Bildmontage als eigentlich künstlerische
Intervention, die aus den jeweils einzelnen Bildern bestimmte
Situationen eines vielschichtigen, multimedialen Bildspektakels
komprimiert. Technisch gesehen werden diese Vorlagen über ein
mehrfarbiges Siebdruckverfahren auf die einzelnen Leinwandteile der
Gesamtmontage transportiert. Bei diesem Transfer werden die
gescannten Vorlagen umdimensioniert und zugleich durch die
Farbaufladung beim Siebdrucken verfremdet. Hier kommen
emotionale und assoziative Setzungen ins Spiel, die metapherhaft
zeigen, wie sich das Individuum im Urbanen orientieren und behaupten
kann. Das Endergebnis, die Multimedialmontage, verschichtet
unterschied-liehe Bildtypen und Bildträger zum Ganzen. Die Textur der
Leinwand, die Rasterung des Siebdrucks, die elektronischen Bild-
muster vom Video bis hin zur elektromagnetischen Pixelauflösung der
Computergenerierung verweben sich zueinander zu einer visuellen
Landkarte, In der der Betrachter sein Ego auf Reisen und Besichtigungen
durch die Regionen von Assoziationen und Konationen schicke kann.
Interessant nunmehr, welche einzelnen Bilder untereinander und
wie in Verstrickung gebracht werden: Menschen im täglichen Verkehr
auf Bahnhöfen und in Strassenschluchten, monumentale Brückenpfeiler
und andere Gebäudeteile als Architektur mächtiger urbaner Gestaltung,
dann Bildteile der Natur, Berge, Wolken, Wasser. Dazwischen, und
das als zwingende Bilderchoreografie, die Zeichen der Kommunikations-
technologie in eigener Sache und wie im auflösenden Wandel begriffen.
All das ist mit Nüchternheit gegenüber den Fakten und mit Wärme
gegenüber den Menschen als Akteuren inszeniert. Und die grosse
Frage, die energisch gestellt wird, lautet: Welche Bilder, genauer
welche Bilderbeziehungen und damit welche menschlichen Beziehungen
werden siegen? Die Frage ist offen und um die virtuellen und simulierten
Bilder reicher geworden.