Patrick Frey

MEDIALE MONTAGEN

Bemerkungen zu einem Bildobjekt von Simone Berger

Unicat 11: ein Bild mit vibrierend-irisierender malerischer und zeichnerischer
Feinstruktur, erzeugt von kalkulierten und zufällig entstandenen Unschärfe- und
Ueberlagerungseffekten, die in gewissen Bereichen den Charakter eines textilen
Ornamentik im Sinne einer kunstvollen PetitsPoints-Stickerei erreichen:
ein mediales Komposit mit einer Tiefenstruktur auch im Mikrobereich, auf dessen
Oberfläche die verschiedenen Stufen eines komplizierten Bildherstellungsprozesses
ihre visuellen Spuren, oder eher ihr ebenso systematisches wie akzidentielles
Spuren-Gewebe hinterlassen haben.
Dieser Prozess hat seine - hier nur in einem einzigen Satz erzählte Geschichte:
nach einer malerischen Anfangsphase beginnt Simone Berger mit der Videkamera
Ausschnitte aus der alltäglichen Realität zu filmen, tauscht eine ihrer früheren
Malereien gegen einen Computer mit Videoscanner und Bildbearbeitungsprogramm
ein und hat seither ihre eigene (und eigenhändig durchgeführte) Methode entwickelt,
rein mediale images in Malerei auf Leinwand, in "painted images" umzusetzen.
Gescannte, als digital abgetastete und teilweise im Computer weiterverarbeitete
Stills aus Videosequenzen oder auch Polaroidfotos werden mit einem Tintenstrahl-
drucker schwarzweiss auf Papier ausgedruckt. Diese Ausdrucke bilden das Aus-
gangsmaterial für die genaue Planung der Bildrnontage und zugleich die repro-
technische Vorlage für den grossformatigen Siebdruck, wobei die Farbe serigrafisch
aber ebenso manuell, mit kalkulierter malerischer Freiheit durch das serigrafische
Sieb hindurch auf die Leinwand aufgetragen wird. Das Resultat ist eine höchst
komplexe Oberflächenstruktur: Leinwandtextur, Siebdruckraster, als ink-dots
visualisierte Pixelmuster, videografischer Zeilenraster, das "pointillistische" Mikro-
Ornament der rasterlos verteilten Primärfarbenpunkte in einer fotografischen Emulsion
sowie Spuren manueller Farbaufträge mit Rakel oder Pinsel sind unauflösbar
ineinander, übereinander gemalt, verwoben zu emer medialen Malerei, bei der die
spezifische, unpersönliche Kälte digital oder elektromagnetisch generierter Bilder
auf seltsame und sehr persönliche Weise modifiziert wird.

Unicat H: Ein aus sechs schmal gerahmten Leinwandchassis zusammengebautes,
nicht ganz symmetrisches Bildobjekt, oder auch:
eine tryptichonartige kreuzförmige Bild-Anlage mit zweiteiligem Mittelbild und mehr-
teiligen kommentierenden Seitenflügeln. Der imaginäre Komentar, die assoziativen
Bezüge zwischen den - verschiedenen Wirklichkeitszusammenhängen entnommenen
- fragmentarischen images finden nicht nur in zwei Dimensionen statt, sonder sind,
im physischen Sinne des Bildobjektes, vielschichtig.
Die Konnotationen, die die physisch und psychisch ambivalente Grundstimmung
der zentralen Szene auf drei Seiten umgeben, jene Ambivalenz in der Körperbewegung
der Frau, die, wie suspendiert zwischen verschiedenen ebenso existentiellen wie
widersprüchlichen Zuständen oder Möglichkeiten, sich scheinbar schwerlos über einer
dunklen Wasseroberfläche hält, sind nicht nur erweiternd im Sinne von imaginativen
oder dekorativen Randbemerkungen, sondern wirken, physisch leicht zurückversetzt
als Bildverstärker in einer tieferen Schicht des gesamten Bildobjekts, sind Erzeuger
einer medialen und emotionalen Tiefendimension.

Unicat 11: ein imagmares Kompositum, eine inhaltlich aSSOZIatIve Montage, in deren
Zentrum das image einer weiblichen Situation steht, aufgeladen durch fragmentarische
Blicke an die hochstrebenden Fassaden amerikanischer urbaner Architektur und den
ebenfalls links und rechts wiederholten, durch die Montage aber nicht mehr identischen
Bildern eines lodernden Feuers.
Im Frauenkörper ist schwereloses, kühles, nächtliches Ausgeliefertsein, elementare
und fast ekstatisch zum Ausdruck gebrachte Ungesichertheit; über sich das Gewicht,
die Dynamik, die Härte der Konstrukte, der Gestelle einer längst gebauten, im Bau
befindlichen oder bereits wieder zerfallenden technischen Welt aus aufwärts
(oder vorwärts in die Bildtiefe) strebenden Pfeilern und Stützen aus Stein und Stahl;
im Fruenkörper ist aber ebenso ein elementares Aufgehoben- und Getragensein, kühl
und erwartungsvoll im klaren Bewusstsein der unberechenbaren, chaotischen Hitze-
energie des Feuers neben sich, wobei hier nicht einfach irgendein bloss zerstörerisches,
sondern ein kultisches Feuer brennt, und zwar ein hiesiges, aus der Heimat der
Künstlerein, die sich in den letzten Jahren vorallem in Nex York aufgehalten hat:
ein riesiger Feuerwagen aus einem alljährlich am Winterende stattfindenden basel-
landschaftlichen Regenerationsritual. Aber erst in der spezifisch inszenierten
Konfrontation der imaginierten elementaren Stofflichkeiten und Temperaturen
entsteht die suggestive ambivalente Aufladung des Bidgeschehens:
Die nach rechts loderne Bewegung der bei den in die Horizontale gekippten
Feuerwagenbilder zieht wie ein einziger glühendheisser mentaler Mahlstrom, ein
Gedanken- und Gefühlsbrand, von links nach rechts durch die gesamte Breite des
Bildobjektes, mitten durch dessen tiefliegenden Schwerpunkt, durchquert dieser
virtuell genau hinter den geschlossenene Augen und dem leicht geöffneten Mund,
durchquert also gleichsam die Tiefenschichtendes Elementes, in dem der unsichtbare
Teil des Frauenkörpers sich aufhält und schafft so eine fast physisch erfahrbare
Hitzezone irgendwo unter der blauschwarzen opaken Oberfläche des kühlen nächt-
lichen Wassers. Ebenso umlodern aber die regenerierenden Flammen Genes
Elementes dessen "Beherrschung" sich die Männer wohl noch vor allen anderen,
vor Wasser, Luft und Erde gesichert haben) nicht nur die Bildkanten der Fassaden-
ansichten, sondern unterlegen gleichsam auch deren Inhalte, die konstruktive,
geometrische Ordnungs struktur mit unkontrollierbarer chaotischer Energie, erwärmen
die . steinerne und stählerne Unfarbigkeit bis ins Rötlich-Organoide, erleuchten das
technische Opake und reichern es an mit gefährdender und gefährlicher Emotionalität.

Zürich, 11.3.91