Vernissagerede Ausstellung Simone Berger
Galerie Weibel, Basel, 13. September 2006
Sehr geehrte Damen und Herren
Liebe Simone

Multimedia. Was ist denn heute schon was ohne Multimediafaktor. In der Kunst
und anderswo. Im Zentrum all dieser medialen Umwandlungen steht
grossmehrheitlich die Arbeit am PC, das Anwenden von Software, die digitale
Welt und das globale Nutzen gespeicherter Bilder.

Auch Simone Berger ist eine Multimedia-Künstlerin. Seit bald 20 Jahren. Simone
Berger filmt, fotografiert, serigraphiert und dem Resultat des
Wandlungsprozesses sagt sie „Malerei“. Entscheidend für den Einstieg in die
Werke der Künstlerin ist dieses „20 Jahre“.

Sassen wir damals schon den ganzen Tag vor dem Bildschirm, schrieben wir
damals schon täglich 20 Emails? Und trugen von jedem Anlass 40 Digitalfotos
mit nach Hause, um sie sogleich auf dem PC zu übertragen, zu modifizieren
usw.? Nein! Oder erst in Ansätzen.

Simone Berger war somit eine Multimedia-Pionierin als sie die ersten Repro-
Filme von Videostills in Auftrag gab, sie auf dem Sieb belichtete und den
entstandenen „Stempel“ zum Ausgangspunkt ihrer vielschichtigen Serigraphien
machte. Heute grast sie das Internet ab, um die letzten noch verbliebenen
Repro-Fotografen ausfindig zu machen. Aus der Pionierin ist – überspitzt
ausgedrückt – eine Oldtimerin geworden. Nirgendwo ist der Wandel der Zeit so
greifbar wie im Einbruch des Digitalen in unseren Alltag.

Ist das jetzt Anti-Werbung für Simone Berger indem ihr Schaffen als veraltet
dargestellt wird? Sicher nicht! Zum einen ist der Weg zum Bild immer nur ein
Aspekt von Kunst und die Essenz der Ausdruck, der Inhalt. Aber so wie die
Literatur ebenso Umgang mit Sprache bedeutet wie mit Sprache etwas
ausdrücken, so ist das auch in der bildenden Kunst.
Um was es mir geht, ist eigentlich die Referenz. Als Simone Berger nach der
Rückkehr von ihrem Studium an der Rietveldacademie in Amsterdam erkannte
sie für sich, dass Malerei in ihrer traditionellen Form nicht mehr zeitgemäss ist,
dass die Welt im Wandel, die Mobilität der Gesellschaft einen Ausdruck
brauchte, der das Drehen und Wenden, das Dekonstruieren und neu Formieren
beinhaltet. Noch einmal: Auf die digitale Welt konnte sie sich noch nicht
abstützen, aber da waren im Hintergrund zum Beispiel Andy Warhols Marilyn
Monroes in ihrer Serialität oder – viel nahe liegender – Sämi Buris
Farbauflösungen und Farbwandel. Die Wahrnehmung musste man ändern,
dabei aber nicht das Statische, sondern das Bewegte neu formulieren. Wie
Simone Berger dann den Weg fand vom Video über den ersten auf dem Markt
erhältlichen Video-Computer zum Still und vom Still zum schwarz-weissen
Reprofilm und von da zum Siebdruck respektive zur Malerei mit dem Rakel fand,
das war eine Meisterleistung.

Und nur sie konnte das, sie die ihre Ausbildung in der Textilfachklasse in Basel
bei Klaus Littmann begonnen hatte, somit den im Textilbereich bis heute häufig
angewendeten Siebdruck beherrschte. Und dann Malerei studierte. Und
gleichzeitig den Aufbruch in Basel mit der Einführung einer Videoklasse an der
Schule für Gestaltung wahrnahm.

Mit der einzigen Ausnahme, dass sie heute sowohl 8mm-Film (nicht mehr Video)
wie Fotografie – beides sehr bewusst und gezielt – einsetzt, ist ihre künstlerische
Methode bis heute dieselbe geblieben. Und, erstaunlich, niemand – zumindest
nicht meines Wissens – hat es ihr nachgemacht. Simone Bergers Multimedialität
ist heute so einzig wie vor 20 Jahren. „Ganz einfach“, sagt die Künstlerin,
„niemand nimmt so viel Aufwand auf sich.“ Tatsächlich sind die vielen Schritte
und das sechs-bis achtfache Serigraphieren sehr aufwändig und fordern von der
Künstlerin höchste Konzentration, aber das ist dennoch nicht entscheidend. Der
Grund liegt eher darin, dass niemand den Umgang mit der Serigraphie, dem


richtigen Mass an Farbe pro Schicht, dem subtilen Streichen zwischen luftigem
Liebkosen und leidenschaftlichem Druck geben so virtuos beherrscht, bezüglich
Wirkung so genau abschätzen kann, dass Resultate möglich sind, wie sie in
dieser Ausstellung zu sehen sind. Der Computer kann viel, er ist ein Meister in
Sachen Multimedialität, aber eines kann er nicht – eines lernt er hoffentlich nie –
er kann keine seelische Energie zeigen, diese kann – vorläufig – nur der Mensch
umsetzen und sinnenhaft erfahrbar visualisieren.

Das mit der „Oldtimerin“ ist nun wohl erledigt, man schaue nur wie viele
„Gesichter“ -und damit meine ich nicht die Motive, sondern die Oberflächen –
wie viele „Physiognomien“ die Arbeiten Simone Bergers haben und wie jede
dieser Erscheinungen unser Schauen beeinflusst. Auf alle Fälle war mir nach
meinem Besuch im vorläufig noch nicht unterteilten, riesigen Atelier in der alten
Hanro-Fabrik in Liestal klar, dass die Künstlerin recht hat, wenn sie sagt: „Meine
Methode ist noch lange nicht ausgeschöpft“.

Wechseln wir jetzt den Standpunkt. Simone Berger findet ihre Multimedialität in
Basel, doch gleichzeitig will sie da weiter und sie reist mit einem Merian-
Stipendium in die USA, um an der Cooper Union in New York das Fach
„Multimedia“ zu belegen.
Die US-Künstler sind unter anderem die Erfinder des Grossformates, des Bild-
Raumes. Jung und die ganze Welt im Visier, schafft nun auch Simone Berger
Grossformate, die sich nicht reihen wie in den Anfängen und auch heute zum
Teil wieder, sondern als „private Urbanity“, wie sie den Zyklus nannte, das
Private und das Weltumspannende als zum Teil wandfüllende Kompositionen mit
einzelnen Versatzstücken gestalten. Dabei geht es nicht um möglichst viele
Motive – wiederkehrend sind Menschen in Bewegung, züngelnde Feuer und zum
Himmel ragende Konstruktionen wie zum Beispiel der Eifelturm – sondern um
die Komposition der Elemente, die sie dreht und wendet und vervielfacht, als
wollte sie die ganze Welt zu ihrem privaten Globus machen.

Dann beginnt für Simone Berger eine schwierige Zeit. Sie liebt ihre Kinder, sie
liebt ihre Kunst und versucht zusammen mit ihrem damaligen Partner alles unter
einen Hut zu bringen. Bis schliesslich nach einigen Jahren die Kraft ganz einfach
aufgebraucht ist, das Andere so dominant wird, dass das Eigene keinen Raum
mehr hat und welkt. Aber: Wie so oft sind Lebenskrisen Erkenntnismaschinen
und wer je durch ein Tief gegangen ist, weiss, dass man es – so paradox das
tönt – nicht missen möchte, weil Erfahrung das Existentiellste unseres Lebens
ist.

Auf sich selbst gestellt und am Beginn eines neuen Lebensabschnittes sucht
Simone Berger – zunächst noch unter räumlich schwierigen Verhältnissen –
nach Bildern, die Neues, einem Foetus gleich, in sich tragen; einen Lichtkokon.
Es sind Bilder am Rand der Abstraktion, vielfach überlagert – wie immer – porös,
verletzlich in ihrer optischen Erscheinung. Und seltsam schwerelos. Ohne
Bodenhaftung quasi, erträumt, aber noch nicht real, ersehnt, aber noch nicht im
Körper angelangt. Energien, mehr immateriell als fassbar.

Es ist ein gutes halbes Jahr her, seit ich diese Bilder erstmals sah und zugleich
im Gespräch spürte, dass die Künstlerin ihre ureigene Kraft wiedergefunden hat
und begierig ist, starten zu können. Und wie sie gestartet ist, das sehen wir in
dieser Ausstellung. Schlicht fulminant. Wer sich an die Werke der frühen und
mittleren 90er-Jahre erinnert, fühlt sich wohl, kann zurückdenken und wieder
nach vorne kommen, ohne Brüche zu spüren, wohl aber Entwicklung.

Der Kosmos braucht nun nicht mehr die ganze Welt zu sein, die Bilder nicht
ganze Wände zu füllen. In der Tiefe, in der Verdichtung, in der Konzentration hat
ebensoviel Platz. Wie früher ist die Zahl der Motive nicht endlos – es ist eine
Wiese mit Löwenzahn, es sind – wie einst – Menschen in einer Passage
(diesmal nicht in Paris, sondern im Basler Bahnhof) – es sind Blüten eines
Busches, aufgenommen im botanischen Garten und es ist eine nach oben
offene, gotische Kirchenruine (es ist San Galgano in der Toscana, doch das ist
nicht wichtig). Die Motive stehen nicht für Abbilder, sondern für Sinn-Bilder. Sie


stehen für die Empfindung, für das Erlebnis, für die Gedanken, die sie auslösten
als sie von der Künstlerin wahrgenommen, gefilmt, fotografiert wurden. Und Ziel
der Umsetzung ist dementsprechend, das Visuelle mit diesem emotionellen
Moment zu verschmelzen und von da aus weitere Möglichkeiten abzutasten.

„Jede Arbeit ist für mich eine Reise“, sagt Simone Berger. Wir sehen das nicht
nur in der Farbgebung, sondern vor allem auch in den Schichtungen der Sieb-
Drucke, die uns, je nach Transparenz, mitnehmen in tiefer gelegene Bereiche,
die sich multipliziert zu spiegeln scheinen, oder uns in Form von Verdichtung
Feuer und Kraft suggerieren.

Oft reicht ein einzelnes Bild, um die Reise sichtbar zu machen, manchmal stellt
Simone Berger ein bis drei Bilder zueinander in Beziehung. Mit ist aufgefallen,
dass es dann oft ein fotografisches und ein gefilmtes Basisbild sind, die sie
kombiniert, wie zum Beispiel eine Löwenzahnwiese und ein Passagenbild.
Diefotografischen Arbeiten sind stets schärfer im Bild – auch in der Überlagerung
noch – während die filmischen Bilder ihre Bewegung als leichte, weiche
Unschärfe in sich tragen. Sicher gibt es viele Möglichkeiten, dies zu
interpretieren. Mir kommt es vor als seien die fotografischen Bilder ein
Absenken, Ausfächern, Spüren im eigenen Körper-Ich – eine Art übersetzte Aura
-und die gefilmten ein Bild des Schauens, des virtuellen Mitgehens, des
Reflektierens, des Erinnern an Erlebtes auch.

Dergestalt bilden sie eine berührende Dualität oder gar Trinität von innen und
aussen. Eindrücklich ist, dass das Gehen, das Weitergehen keineswegs nur in
den Passagen fassbar ist, also nicht nur über Menschen, sondern ebenso in der
rhythmisierten Architektur der Kirche von Galgano, die uns sowohl vom Bild an
sich her, wie potenziert in der bildnerischen Umsetzung durch die Künstlerin,
eintreten und voranschreiten heisst.

Beim Sprechen eben hatte ich primär die Kleinformate vor Augen. Für die
grösseren Bilder, die alle von fotografierten Blüten ausgehen, gilt Ähnliches,
doch sind die Schichten hier weiter auseinander platziert, werden als
geometrische Blöcke sichtbar und machen dadurch Verdichtung und Auflösung,
Materialisierung und Entmaterialisierung deutlich sichtbar. Für mich sind es
Bilder, die metaphorisch zeigen, wie wir gewisse Empfindungen zu Energien
bündeln können, andere nur als etwas Schwebendes wahrnehmen und uns
dabei in diesem fluktuierenden Raum auszubalancieren suchen.

Simone Berger hat keine Angst vor Farben – rot, blau, gelb und ihre Mischfarben
dominieren, kombiniert mit hellem Silbergrau zuweilen. Für mich stehen die
Farben in ihrem Schaffen ganz stark für die Elemente – für das Feuer, das
Wasser, das Licht. Allerdings weniger in einem materiellen Naturbezug – es fehlt
ja auch die Erde – sondern in der Art wie sie auch in der Astrologie
zusammenwirken als Tatkräfte, als Gefühle, als Gedanken.
Ich freue mich über diese Ausstellung, überzeugt, dass das Schaffen von
Simone Berger auch in Zukunft Spannendes bringen wird. Angedeutet ist es ja
schon über die ersten beiden Bilder, ausgehend von der Gitarre eines Rockers
der Rolling Stones. Musik ist also angesagt.

Annelise Zwez

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